Amnesty sieht das Demonstrationsrecht europaweit unter Druck
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisiert zunehmende Einschränkungen der Versammlungsfreiheit in vielen europäischen Staaten. Friedliche Demonstrationen würden stigmatisiert, kriminalisiert und unterdrückt.
Auch in der Schweiz sieht Amnesty problematische gesetzliche Bestimmungen, wie die Organisation am Dienstag in einer Mitteilung festhielt.
Durch völkerrechtliche Bestimmungen sei die Schweiz wie andere Staaten angehalten, friedliche Versammlungen zu achten, zu schützen und zu erleichtern, hiess es im Communiqué. Hindernisse für Demonstrationen seien zu beseitigen und ungerechtfertigte Eingriffe in die Ausübung des Rechts auf friedliche Versammlung zu vermeiden.
Kritik an Bewilligungssystem
Im Widerspruch dazu sieht die Organisation namentlich das vielerorts in der Schweiz geltende Bewilligungssystem. Teils würden Kundgebungen mit nur wenigen Teilnehmenden gleich behandelt wie grosse Demonstrationen. Für Demonstrationen, die auf ein bestimmtes Ereignis reagierten, jedoch mehr als 48 Stunden danach stattfänden, gälten grundsätzlich die gleichen Regeln wie für solche, die monatelang im Voraus geplant würden.
Als Beispiel nannte die Organisation den Fall einer ihrer Mitarbeiterinnen. Am 15. August werde ein Gericht in Bern über den Fall der Frau entscheiden. Sie hatte die zusammen mit fünf anderen Personen eine Petition an die russische Botschaft übergeben, ohne um eine Genehmigung gebeten zu haben.
Föderalismus als Hürde
Als Hürde sieht Amnesty zudem die je nach Ort unterschiedlichen Regelungen. Dies bringe für Personen, die demonstrieren möchten, zusätzliche Schwierigkeiten. Insgesamt sei es daher auch schwierig, ein Bild der Situation des Rechts auf Protest in der Schweiz zu zeichnen.
Trotz des Föderalismus sieht Amnesty Ähnlichkeiten zwischen den verschiedenen Kantonen. Sie ortet etwa die Tendenz, Kosten für Strassenreinigung, Sicherheit oder das Regeln des Verkehrs den Veranstaltern aufzubürden.
In der Schweiz schienen mehrere Kantone dem europaweiten Trend nachzueifern, indem sie die Bedingungen für die Durchführung von Demonstrationen verschärften, wurde Alicia Giraudel, Juristin bei der Schweizer Sektion von Amnesty, im Communiqué zitiert.
Jene Kantone täten dies, "ohne zwischen einem Nachbarschaftsfest und einer Demonstration, die durch die Menschenrechte geschützt ist, zu unterscheiden", kritisierte sie.
Polizei bleibt straflos
Die Organisation stützte sich in ihrer Bewertung auf eine Studie. Diese enthält eine Angaben zur Situation in 21 Staaten. In Europa weit verbreitet ist demnach übermässige Polizeigewalt gegenüber Demonstranten. In 13 Ländern wurde zudem eine fehlende Rechenschaftspflicht der Polizei festgestellt.
Zudem würden friedliche Protestierende als "Terroristen" oder "ausländische Agenten" verunglimpft, hielt Amnesty fest. Bereits elf Länder setzten Systeme zu Gesichtserkennung ein, was einer willkürlichen Massenüberwachung gleichkomme.
Weiter kritisierte die Menschenrechtsorganisation eine verbreitete Kriminalisierung von Protestierenden. So seien etwa in Deutschland, Italien, Spanien und der Türkei Klimaaktivisten von Behörden als "Öko-Terroristen" und "Kriminelle" bezeichnet worden.
Unterschiedliche Massstäbe
Amnesty monierte weiter, in vielen Ländern würden Demonstrierende ungleich behandelt - je nachdem, welches Anliegen sie verträten. So sei etwa in der Türkei und in Polen die LGBTI+-Gemeinschaft einem erhöhten Mass an Einschränkungen und Schikanen ausgesetzt.
Die Recherchen von Amnesty International zeichneten ein beunruhigendes Bild des europaweiten Angriffs auf das Recht auf Protest, sagte Giraudel dazu.
Die Daten für den Bericht hatte Amnesty International zwischen Dezember 2022 und November 2023 erhoben. Untersucht wurde die Situation in Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, der Schweiz, Serbien, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn, der Türkei und Grossbritannien.