Biden verlangt Feuerpause im Gaza-Krieg
Um doch noch in letzter Minute vor Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan eine Einigung zu erzielen, sollen die Gespräche fortgesetzt werden.
Während die Vermittler im Gaza-Krieg unmittelbar vor Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan weiter auf eine Feuerpause drängen, laufen die Vorbereitungen für Hilfslieferungen in den zerbombten Gazastreifen über das Meer an. Ein Schiff der spanischen Hilfsorganisation Open Arms soll zum Auftakt eines von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigten Seekorridors zunächst rund 200 Tonnen Lebensmittel wie Reis und Mehl von Zypern aus transportieren und in den nächsten Tagen eintreffen, wie der britische Sender BBC meldete. Wo genau es anlanden und wie die Hilfe dann zu den Menschen gelangen soll, war zunächst unklar. Unterdessen mahnte US-Präsident Joe Biden erneut eine Waffenruhe an. "Ich will eine Feuerpause sehen, beginnend mit einem grossen Gefangenenaustausch. Für einen Zeitraum über sechs Wochen", sagte Biden am Samstagabend (Ortszeit) dem US-Sender MSNBC.
Biden: Keine weiteren 30 000 Todesopfer in Gaza zulassen
Israel treibt trotz der laufenden Verhandlungen über eine Waffenruhe Vorbereitungen für eine Bodenoffensive in Rafah im Süden Gazas voran, um die verbliebenen Hamas-Bataillone zu zerschlagen und dort vermutete Geiseln zu befreien. In der an Ägypten grenzenden Stadt suchen derzeit 1,5 Millionen verzweifelte Palästinenser auf engstem Raum Schutz vor den Kämpfen in anderen Gebieten des abgeriegelten Küstengebiets. Es dürfe nicht zugelassen werden, dass als Konsequenz aus dem Vorgehen gegen die Hamas weitere 30 000 Palästinenser sterben, mahnte Biden in dem Interview auf die Frage, ob eine Bodenoffensive in Rafah für ihn eine rote Linie darstelle. Laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde wurden bislang schon mehr als 30 000 Menschen in Gaza getötet. Bei propalästinensischen Demonstrationen in Paris und London forderten am Samstag Medienberichten zufolge Zehntausende von Menschen eine sofortige Waffenruhe.
Israels Geheimdienst: Hamas will Region im Ramadan in Brand setzen
Die Hamas ist jedoch nach Einschätzung des israelischen Auslandsgeheimdiensts Mossad derzeit an keiner Waffenruhe interessiert. Vielmehr sei die islamistische Organisation bestrebt, "die (Nahost-)Region im Ramadan in Brand zu setzen", sagte Mossad-Chef David Barnea in einer Erklärung, die das Ministerpräsidentenamt am Samstagabend veröffentlichte. Zugleich bleibe Israel mit den Vermittlern USA, Katar und Ägypten in Verbindung und kooperiere mit ihnen, hiess es. "Wir haben nicht erklärt, dass die Verhandlungen eingestellt wurden", sagte Husam Badran, Mitglied des Politbüros der Islamisten-Organisation, am Samstag der US-Zeitung "Wall Street Journal". Der Zeitung zufolge sollen die Gespräche am Sonntag in Kairo fortgesetzt werden. Die arabischen Unterhändler planten, auf eine zunächst kürzere Feuerpause von zwei Tagen zu Beginn des Ramadan zu drängen. Der Fastenmonat, eine den Muslimen besonders heilige Zeit, beginnt voraussichtlich am Sonntagabend.
USA bereiten Bau provisorischer Hafenanlage vor Gaza vor
Das US-Militär hat derweil damit begonnen, Ausrüstung für den Bau einer provisorischen Schiffsanlegestelle vor der Küste Gazas in die Region zu transportieren. Das teilte das zuständige Regionalkommando Centcom am Samstagabend (Ortszeit) auf der Plattform X, ehemals Twitter, mit. Am Donnerstag hatten die USA das mit internationalen Partnern geplante Vorhaben angekündigt, um Lebensmittel, Wasser und Medikamente in das Kriegsgebiet zu bringen. Bis die Anlegestelle einsatzfähig ist, werde es etwa 60 Tage dauern. Die israelische Armee erklärte sich bereit, zusammen mit den US-Streitkräften den Bau zu koordinieren. Humanitäre Hilfe könne dann nach entsprechender Inspektion durch Israel auf dem Seeweg nach Gaza gelangen, sagte Militärsprecher Daniel Hagari am Samstagabend.
Unabhängig von der Vorbereitung der provisorischen Hafenanlage arbeitet die internationale Gemeinschaft an der Etablierung eines Seekorridors von Zypern aus. "Wir stehen jetzt kurz vor der Eröffnung des Korridors - hoffentlich diesen Samstag, diesen Sonntag", sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Freitag bei einem Treffen mit dem zyprischen Präsidenten Nikos Christodoulidis. Deutschland beteiligt sich an dem Seekorridor.
Biden übt Kritik an Netanjahu
US-Präsident Biden beschrieb die Lage der Menschen in Gaza am Samstag als "verzweifelt". Er betonte zwar, die Verteidigung Israels sei "immer noch von entscheidender Bedeutung". Er werde die Seite Israels nie verlassen. Zugleich übte der US-Präsident aber deutliche Kritik am Vorgehen von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. "Er schadet Israel mehr, als dass er Israel hilft", sagte Biden. "Ich glaube, das ist ein grosser Fehler." Netanjahu habe das Recht, Israel zu verteidigen und die Hamas weiter zu bekämpfen. "Aber er muss, er muss, er muss den unschuldigen Leben grössere Aufmerksamkeit schenken, die in der Konsequenz der ergriffenen Massnahmen verloren gehen", fügte der US-Präsident hinzu. Zuletzt hatten ranghohe Vertreter seiner Regierung ihre Tonlage gegenüber Israel zunehmend verschärft.
Tausende demonstrieren in Israel gegen Netanjahu
Auch im eigenen Land steht Netanjahu unter Druck. Tausende Menschen demonstrierten am Samstagabend in Tel Aviv und anderen israelischen Städten für die Freilassung der Geiseln aus der Gewalt der Hamas und gegen Netanjahus Regierung. Nahe dem Sitz des Verteidigungsministeriums hielt die Polizei Demonstranten davon ab, eine Stadtautobahn zu blockieren, berichteten israelische Medien. Die Behörde nahm 16 Personen fest. In Caesarea zog eine grosse Menschenmenge vor eine private Villa Netanjahus. Einer der Redner, ein ehemaliger General, sagte auf den Regierungschef bezogen: "Deine Politik zielt nur auf eines ab: um jeden Preis an der Macht zu bleiben, und der Krieg dient deinen Zwecken bestens."
Hamas hält an Forderungen fest
Seit mehreren Wochen verhandeln Israel und die Hamas in indirekt geführten Gesprächen über eine befristete Waffenruhe. Das Mitglied im Hamas-Politbüro, Badran, sagte zwar dem "Wall Street Journal", man sei zu weiteren Gesprächen bereit. Zugleich aber bekräftigte er die Bedingungen der Hamas. Dazu zähle ein dauerhafter Waffenstillstand, ausreichende Hilfsgüter über sämtliche Grenzübergänge, ein Plan zum Wiederaufbau des Gazastreifens und ein kompletter Rückzug des israelischen Militärs. Der Vermittlervorschlag sah bisher nur eine sechswöchige Waffenruhe und eine erste Phase des Austauschs von Geiseln gegen palästinensische Häftlinge vor. Während dieser Feuerpause soll dann über einen dauerhaften Waffenstillstand und die Modalitäten der Freilassung aller übrigen Geiseln verhandelt werden. Israel hat bislang keine Bereitschaft gezeigt, von diesem Stufenplan abzurücken.