Die Justizreform birgt grosse Gefahren, © Unsplash/Tingey Injury Law Firm
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Die Justizreform birgt grosse Gefahren

Die von der Regierung verabschiedete Justizreform wird von der Liechtensteinischen Rechtsanwaltskammer mit grosser Sorge betrachtet und in Teilen vehement abgelehnt.

15.05.2024

Der geplante Abbau einer Rechtsmittelinstanz führt dazu, dass Liechtenstein als einziges Land in Europa neben Malta im Justizwesen nur noch über zwei Instanzen verfügt. Damit wird neben der Verschlechterung des Rechtsschutzes auch die internationale Reputation gefährdet.

Die Regierung plant eine grosse Justizreform und hat den entsprechenden Bericht und Antrag verabschiedet. Dieser soll im Juni-Landtag behandelt werden. Während die Reform einige diskutable Ansätze beinhaltet, ist sie in anderen Punkten vollständig abzulehnen. Sie wird Liechtenstein im Bereich Rechtsschutz sowie in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit deutlich schwächen.

Ausarbeitung ohne Einbezug von Experten, Richtern und Verbänden

Die Reform mit den deutlichen Einschnitten in ein über 200 Jahre gewachsenes und funktionierendes System wurde ohne Einbezug von Experten, Richtern und Verbänden erarbeitet. Die Rechtsanwaltskammer wurde sogar erst kurz vor der Öffentlichkeit über die geplante Reform informiert. Vor der Vernehmlassung fand weder eine Information, dass eine solche Reform geplant ist, noch ein Einbezug der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte statt. Dabei sind diese als wesentliche Akteure des Justizwesens die Expertinnen und Experten zu den in der Reform behandelten Themen und hätten helfen können, die Schwachpunkte der vorgelegten Lösung zu vermeiden.

Abschaffung einer Rechtsmittelinstanz führt zum Abbau des Rechtsschutzes in Liechtenstein

Auch wenn die Regierung bemüht ist, die Abschaffung einer Rechtsmittelinstanz als Gewinn für alle darzustellen, entspricht dies nicht der Realität. Das heutige System sieht grundsätzlich drei Instanzen vor: Landgericht – Obergericht – Oberster Gerichtshof. Das Landgericht ist zuständig für die Tatsachenfeststellungen und beurteilt gestützt auf diese den Fall. Das Obergericht kann angerufen werden, wenn bei der Sachverhaltsfeststellung, im Verfahren selbst oder in der rechtlichen Beurteilung Fehler gemacht wurden. Der Oberste Gerichtshof dagegen widmet sich nur noch den Rechtsfragen, kann so also fokussiert das Recht in Liechtenstein weiterentwickeln.

Dieses System soll nun durchbrochen werden, um unter anderem in kürzerer Zeit zu rechtsgültigen Entscheiden zu gelangen. Dies entspricht aber nicht der Realität – im Gegenteil wird das neue System voraussichtlich deutlich mehr Zeitaufwand nach sich ziehen und letztlich zu qualitativ schlechteren Urteilen führen. Der Wegfall einer Instanz führt zu Unverständnis und bedeutet den Abbau des Rechtsschutzes in Liechtenstein. Davon wird letztlich jeder und jede im Falle des Falles betroffen sein. Dass diese Änderungen ohne Not, im Justizwesen etwas zu verändern, angegangen werden, ist nicht nachvollziehbar.

Gefährdung der internationalen Reputation

Neben den nationalen Auswirkungen wird diese Reform auch die internationale Reputation Liechtensteins schädigen. Während in viele Bereichen darauf geachtet wird, dass unser Land bei internationalen Regulierungen stets auf der Höhe der Zeit ist, soll hier ein deutlicher Rückschritt im europäischen Vergleich in Kauf genommen werden. Liechtenstein wäre neben Malta das einzige Land in Europa, welche nur noch über zwei anstatt drei Rechtsmittelinstanzen verfügt. Dies, nachdem zum Beispiel Island aktuell das Justizwesen auf den europäischen Standard angepasst hat und heute auch über drei Instanzen verfügt. Auch internationale Organisationen wie die GRECO, ein Gremium des Europarates zur Bekämpfung von Korruption, warnt vor dieser Reform: «GRECO stellt fest, dass die im Vernehmlassungsbericht vorgesehene Verringerung der Zahl der Teilzeitrichter das Ergebnis eines umstrittenen Vorschlags ist, den Obersten Gerichtshof als letzte Instanz der ordentlichen Gerichtsbarkeit (dritte Instanz) abzuschaffen und den Verwaltungsgerichtshof mit dem Obergericht zusammenzulegen. GRECO ist der Ansicht, dass dieser Vorschlag mit äusserster Vorsicht betrachtet werden sollte.» (GRECO, Vorläufiger Umsetzungsbericht zur vierten Evaluationsrunde vom 11. März 2024, S. 12)

Keine Experimente mit der Verfassung

Die Liechtensteinische Rechtsanwaltskammer ist jederzeit bereit, ergebnisoffen über Reformen im Justizwesen zu diskutieren und diese gemeinsam anzugehen. So sehen wir die Notwendigkeit, die bereits seit langem angekündigte Digitalisierung des Rechtswesens nun endlich mit vollem Elan voranzutreiben. Dies würde dazu beitragen, die Justiz zu entlasten und effizienter zu machen. Die vorgelegte Reform dagegen ist ein Experiment mit völlig ungewissem Ausgang, mit welchem ohne Anlass mit einem Federstreich ein über 200 Jahre sorgsam aufgebautes und austariertes Justizwesen ausgehebelt werden soll und für das es in ganz Europa kein Vorbild gibt. Zudem regelt der vorgelegte Bericht und Antrag zu vielen unklaren Punkten nichts oder zu wenig, was letztlich zu Jahren voller Rechtsunsicherheit führen wird. Die Gefahren dieses Experiments der Regierung sind viel zu gross, als dass dieses eingegangen werden sollte. Wir ersuchen deshalb die Landtagsabgeordneten auf diese Reform und die damit verbundene Änderung der Verfassung nicht einzutreten und stattdessen eine breite Diskussion über die Verfassungsänderung anzustossen, wie die Liechtensteinische Rechtsanwaltskammer in ihrer Mitteilung von heute schreibt.