Emotionale Diskussionen um mögliche Umsiedlung von Brienz GR
Das erneut wegen einer Steinlawine evakuierte Bündner Dorf Brienz GR könnte nach Tiefencastel GR und Alvaneu GR umgesiedelt werden. Die Gemeinde Albula stellte am Mittwoch ein entsprechendes Konzept vor.
70 Prozent der betroffenen Brienzerinnen und Brienzer würden lieber nach Vazerol umgesiedelt werden. Dies ergab eine Umfrage von 2020. Doch bis vor Kurzem war Vazerol selbst durch einen Bergsturz gefährdet. Erst vor drei Monaten gab es für diesen Standort Entwarnung.
Doch aktuell fehlt es dort an verfügbarem Bauland. Die Gemeinde will die Variante Vazerol dennoch in die Planung aufnehmen und versprach mehr Informationen im kommenden Februar. Die Einzonung des Standorts soll der Gemeindeversammlung noch 2025 vorgelegt werden.
In Tiefencastel soll gemäss dem derzeitigen Konzept Wohnraum für 100 Personen geschaffen werden. Weitere 70 Personen könnten Platz in Alvaneu Dorf erhalten. Dabei sollen Erstheimische vorrangig gegenüber Zweitheimischen behandelt werden.
An Betroffenen vorbeigeplant
Ein betroffener Brienzer nannte dieses Hin und Her am Mittwochabend bei der Präsentation des Umsiedlungskonzeptes einen "Boykott". Die Gemeinde plane seit dreieinhalb Jahren an den Wünschen der Betroffenen vorbei.
Die Gesetze würden eine rasche Umsiedlung blockieren, klagte der Betroffene weiter. Mit den aktuellen Vorschriften sei mit sieben bis acht Jahren zu rechnen. Er forderte deshalb den Gemeindepräsidenten von Albula, Daniel Albertin, dazu auf, direkt mit dem Bundesrat Kontakt aufzunehmen und die raumplanerischen Blockaden auszuhebeln, damit bereits im nächsten Frühjahr mit Erschliessungsarbeiten begonnen werden kann.
Bund sendet positive Signale
Für die Umsiedlungsstrategie fragte die Gemeinde gemäss eigenen Angaben bei Bund und Kanton nach Subventionen. Am Dienstag habe der Bund "eine im Grunde positive Antwort" an den Kanton gesendet.
Darin geht es um die Bereitschaft der Bundesbehörden, im Falle einer Umsiedlung den Betroffenen einen Betrag an ihr verlorenes Land zu zahlen. Bisher war diese Frage ausgenommen, und man sprach nur über den Wert der Gebäude. Dies sei ein wirklich gutes Signal, sagte der Kommunikationsverantwortliche des Gemeindeführungsstabes, Christian Gartmann, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Vergangene Woche hatte sich auch der Umweltminister, Bundesrat Albert Rösti, in der Nachrichtensendung "Telegiornale" von Radiotelevisione Svizzera (RSI) zu Brienz GR geäussert und Solidarität versprochen. Der Bund sei bereit zu helfen.
Verständnisvoller Gemeindepräsident
Gemeindepräsident Albertin zeigte denn auch Verständnis dafür, dass die Brienzerinnen und Brienzer nicht ins schattige Tal nach Tiefencastel umgesiedelt werden wollen. "Wir werden niemanden zwingen", sagte er weiter. Und er hoffe auch, dass alle nach Vazerol können.
Erst Anfang November hatte Albertin seinen angekündigten Rücktritt zurückgezogen und versprochen, bis Ende 2026 im Amt zu bleiben, bis eine Nachfolge gefunden werde. In einer emotionalen Rede wandte er sich am Mittwoch an die Brienzerinnen und Brienzer.
"Es war ein extrem schwieriger Schritt, euch ein zweites Mal zu evakuieren. Ein drittes Mal werde ich das nicht mehr machen", sagte er in Tiefencastel. Solange die Brienzer in ihrem Dorf bleiben wollen, werde er dafür sorgen. Aber er habe gemerkt, dass die Belastung für viele zu gross geworden sei. Viele applaudierten.
Variante Entwässerungsstollen
Für das bedrohte Dorf Brienz gibt es zwei Rettungsmassnahmen: Neben der nun konkretisierten Umsiedlung wird unter dem Dorf für 40 Millionen Franken an einem Entwässerungsstollen gebaut. Dieser 2,3 Kilometer lange Stollen soll die Landmasse entwässern und so die Rutschungen massiv eindämmen.
Zurzeit rutscht das Dorf Stand Mittwoch 2,3 Meter pro Jahr talwärts. Bei der 1,2 Millionen Kubikmeter grossen Schutthalde, wegen der das Dorf seit Sonntag erneut evakuiert ist, sind es 20 Zentimeter pro Tag.
Verantwortlich für die Bewegungen sind geologische Begebenheiten. Der Untergrund des Dorfes besteht aus Bündner Schiefer und sogenanntem Flysch - einer sehr weichen Gesteinsart. Mischt sich Wasser dazu, entsteht ein schmieriger Brei. Zusammen mit der Neigung des Gesteins führt dies dazu, dass der Berg oberhalb von Brienz wie auch das ganze Dorf rutscht.