Raketenangriff auf Golanhöhen beschwört Kriegsgefahr herauf
Ein Raketenangriff auf den israelisch besetzten Golanhöhen mit zwölf Toten droht Israel und die libanesische Schiiten-Miliz Hisbollah an den Rand eines offenen Kriegs zu bringen. Israel macht die Hisbollah für den Angriff verantwortlich und griff nach Angaben seines Militärs noch in der Nacht eine Reihe von Terrorzielen der Miliz im Libanon an.
Israel macht die Hisbollah für den Angriff verantwortlich und griff nach Angaben seines Militärs noch in der Nacht eine Reihe von Terrorzielen der Miliz im Libanon an.Unter den Zielen hätten sich auch Waffenlager sowie terroristische Infrastruktur befunden, teilte das israelische Militär bei Telegram mit. Dazu veröffentlichte es Videoaufnahmen, die die Angriffe zeigen sollen. Die Angaben liessen sich nicht unabhängig prüfen.
Zuvor waren am Abend bei einem Raketenangriff in der Ortschaft Madschd al-Schams auf den Golanhöhen mindestens zwölf Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 10 und 20 Jahren ums Leben gekommen. Eine Rakete iranischer Bauart schlug dort auf einem belebten Fussballplatz ein. Die Hisbollah teilte in einer Erklärung mit, man habe mit dem Angriff nichts zu tun.
Der Vorfall löste international Angst vor einer Eskalation der Gewalt in der Region aus. UN-Vertreter riefen beide Parteien nachdrücklich zu "grösstmöglicher Zurückhaltung" auf. Auch die USA und die EU verurteilten den Angriff.
Netanjahu droht mit Vergeltung
Israels Präsident Izchak Herzog zeigte sich entsetzt über den Angriff auf den Golanhöhen. "Die Terroristen der Hisbollah haben heute Kinder brutal angegriffen und ermordet, deren einziges Verbrechen darin bestand, Fussball zu spielen", schrieb er auf X. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu drohte umgehend mit Vergeltung. "Die Hisbollah wird einen hohen Preis dafür bezahlen, einen Preis, den sie bislang noch nicht bezahlt hat", sagte Netanjahu nach Angaben seines Büros.
Der Regierungschef wollte am Sonntag nach seiner Rückkehr aus den USA das Sicherheitskabinett einberufen, hiess es weiter. Netanjahu hatte in den USA eine Rede vor dem Kongress gehalten und US-Präsident Joe Biden, Vizepräsidentin Kamala Harris und Ex-Präsident und Präsidentschaftskandidat Donald Trump getroffen. Seine Abreise aus Washington zog er um mehrere Stunden vor.
Die Hisbollah wies die Vorwürfe, Madschd al-Schams angegriffen zu haben, kategorisch zurück. Der israelische Armeesprecher Daniel Hagari bezeichnete dies als eine "Lüge". Bei dem Geschoss habe es sich um eine iranische Rakete vom Typ Farak-1 gehandelt, die nur die Hisbollah verwende. Das hätten forensische Untersuchungen ergeben. Die Schiiten-Miliz wird vom Iran unterstützt und teilt dessen israelfeindliche Haltung. "Die Hisbollah steckt hinter dieser Katastrophe und muss die Konsequenzen tragen", sagte Hagari.
Expertin hält Fehlschuss für möglich
Die israelische Militärexpertin Sarit Zehavi verwies darauf, dass die Schiiten-Miliz zuvor Angriffe auf eine israelische Militärbasis auf dem Berg Hermon für sich reklamiert habe. "Es ist sehr leicht, die Basis auf dem Berg Hermon mit ungenauen Raketen, wie etwa der Farak, zu verfehlen", meinte sie. Madschd al-Schams liege unmittelbar darunter.
Die Hisbollah richtet sich indes nach eigenen Angaben auf einen möglicherweise schweren Angriff Israels ein. "Wir sind seit Monaten in Bereitschaft und halten Ausschau nach jeglichem Angriff des Feindes", erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Kreisen der Miliz. "Dies ist nichts Neues, wir sind in ständiger Bereitschaft." Jetzt erwarte man einen möglicherweise "harten Angriff", hiess es den Kreisen zufolge.
In der US-Regierung nähre der Raketenangriff Befürchtungen, dass ein offener Krieg zwischen Israel und der Hisbollah ausbrechen könnte, schrieb der gut vernetzte israelische Journalist Barak Ravid im US-Portal "Axios". "Was heute geschehen ist, könnte der Auslöser werden von dem, was wir seit zehn Monaten befürchten und zu verhindern versuchen", zitierte Ravid einen US-Regierungsbeamten. Die USA sind Israels wichtigster Verbündeter. Amerikanische und französische Diplomaten bemühen sich seit Monaten um eine Entspannung des Konflikts zwischen Israel und der Schiiten-Miliz.
"Wir fordern die Parteien nachdrücklich auf, grösstmögliche Zurückhaltung zu üben und die anhaltenden heftigen Feuergefechte zu beenden", hiess es in einer gemeinsamen Mitteilung des Chefs der UN-Friedenstruppe im Libanon, Aroldo Lázaro, und der Sonderkoordinatorin für das Land, Jeanine Hennis-Plasschaert. Die Kämpfe "könnten einen grösseren Flächenbrand entfachen, der die gesamte Region in eine unvorstellbare Katastrophe stürzen würde", warnten die beiden UN-Vertreter.
USA stehen "eisern" und "unerschütterlich" zu Israel
Ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA verurteilte den Raketenangriff und versicherte in einer Mitteilung: "Unsere Unterstützung für Israels Sicherheit gegen alle vom Iran unterstützten Terrorgruppen, einschliesslich der libanesischen Hisbollah, ist eisern und unerschütterlich." Der deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, sprach auf X von einem "schmerzhaften Abend" und forderte: "Diese mörderischen Angriffe müssen aufhören." Der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell zeigte sich über den Angriff schockiert. "Wir rufen alle Seiten zu äusserster Zurückhaltung und zur Vermeidung jeglicher weiterer Eskalation auf", teilte er auf X mit.
Der Raketenangriff traf einen Ort, in dem vor allem arabischsprachige Drusen leben. Die Religionsgemeinschaft ist im 11. Jahrhundert aus dem schiitischen Islam hervorgegangen und siedelt heute vor allem in Syrien, dem Libanon, Israel und Jordanien. In den jeweiligen Ländern legen ihre Angehörigen Wert auf inneren Zusammenhalt und Loyalität zum jeweiligen Staat. In Israel dienen viele Drusen freiwillig in der Armee.
Seit Beginn des Gaza-Kriegs im vergangenen Oktober liefern sich die Hisbollah und Israels Armee nahezu täglich Gefechte. Der Raketenangriff auf den Golanhöhen folgte auf einen israelischen Angriff im Dorf Kfar Kila nahe der libanesisch-israelischen Grenze, bei dem nach Angaben der Hisbollah vier ihrer Mitglieder getötet wurden. Die vom Iran unterstützte Miliz handelt aus Solidarität mit der Hamas, die auch im Libanon aktiv ist.
Gespräche über Waffenruhe im Gaza-Krieg in Rom
Die indirekten Gespräche über eine Waffenruhe im Gaza-Krieg und eine Geiselfreilassung sollten unterdessen am Sonntag in Rom weitergehen. Die Hoffnungen auf Fortschritte bei den Gesprächen, bei denen die USA, Katar und Ägypten vermitteln, halten sich in Grenzen. Zuletzt hatte Netanjahu zusätzliche Bedingungen für einen Deal formuliert, die für die Hamas inakzeptabel sein dürften.
Auslöser des Gaza-Kriegs war das beispiellose Massaker mit 1.200 Toten, das die Islamisten der Hamas zusammen mit anderen Gruppen aus dem Gazastreifen am 7. Oktober des Vorjahres im Süden Israels begangen hatten. Bei einem israelischen Luftangriff auf ein Schulgebäude in Deir al-Balah wurden am Samstag nach palästinensischen Angaben mindestens 30 Menschen getötet. Das israelische Militär erklärte, dort eine Kommandozentrale der Hamas angegriffen zu haben