Unterschiedliche Vorstellungen von Toleranz in der Schweiz, © Unsplash/Nick Karvounis
Nicht alle sehen beispielsweise die Toleranz gegenüber anderen sexuellen Orientierungen als wichtig an. Unsplash/Nick Karvounis
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Unterschiedliche Vorstellungen von Toleranz in der Schweiz

Für die meisten Menschen in der Schweiz ist Toleranz ein wichtiges Thema. Aber nicht in allen Bereichen. Das zeigt eine neue Studie.

01.09.2024

Toleranz ist für einen Grossteil der Schweizer Bevölkerung grundsätzlich ein grosses Anliegen. Aber welche Art von Toleranz wichtig ist, darüber gehen die Meinungen laut einer neuen Studie auseinander - zwischen Frauen und Männern und politischer Ausrichtung.

Wie aus heute veröffentlichten Befragung des Meinungsforschungsinstituts Sotomo hervorgeht, ist für Frauen die Toleranz gegenüber anderen Lebensstilen mit 72 Prozent am wichtigsten. Bei Männern hingegen steht an erster Stelle die Toleranz gegenüber politisch Andersdenkenden (68 Prozent). Dieser Punkt wiederum ist nur für 52 Prozent der Frauen wichtig.

Besonders deutlich ist die geschlechter-spezifische Diskrepanz bei der Frage der Toleranz gegenüber anderen sexuellen Orientierungen und Geschlechteridentitäten: Während die Frauen diese beiden Themen mit 66 Prozent respektive 50 Prozent als sehr wichtig erachten, sind bei den Männern nur 49 respektive 32 Prozent der gleichen Meinung.

Links-Rechts-Graben
Ein ähnliches Bild zeigt sich in dieser Frage bei der parteipolitischen Aufschlüsselung der Antworten: Während eine grosse Mehrheit der befragten SP- und Grüne-Sympathisierenden die Toleranz gegenüber anderen sexuellen Orientierungen (rund 85 Prozent) und gegenüber anderen Geschlechteridentitäten (rund 70 Prozent) als wichtig erachten, sind es bei der SVP nur gerade 33 Prozent für andere sexuelle Orientierungen und 14 Prozent für andere Geschlechteridentitäten.

Am wichtigsten ist für SVP-Sympathisierende die Toleranz gegenüber politisch Andersdenkenden (65 Prozent) und die Toleranz gegenüber der eigenen Lebensart (58 Prozent). Diese beiden Anliegen sind im SP- und Grünen-Lager ähnlich wichtig. Am wichtigsten sind den Linken jedoch die Toleranz gegenüber anderen Kulturen und Ethnien (87 Prozent) und gegenüber anderen Lebensstilen (85 Prozent).

SVP-Wählende missverstanden
Sotomo schreibt als Grund für dieses Ergebnis, dass sich SVP-Wählende in der politischen Landschaft möglicherweise oft missverstanden fühlen. Entsprechend gaben 70 Prozent der SVP-Sympathisierenden an, Intoleranz aufgrund ihrer politischen Haltung erfahren zu haben. Bei Anhängern der Linken sind es nur 44 bis 48 Prozent.

Bei der geringen Bedeutung der Toleranz gegenüber anderen sexuellen Orientierungen und Geschlechteridentitäten spiegle sich die Skepsis der SVP-Basis gegenüber sozialliberalen Veränderungen wider. In linken Kreisen hingegen seien Werte wie soziale Gerechtigkeit und Offenheit gegenüber anderen Kulturen ein wichtiger Bestandteil ihrer politischen Identität und Agenda.

Junge Frauen am meisten betroffen
Intoleranz erleben nach eigenen Angaben am meisten junge Frauen zwischen 18 und 35 Jahren. 53 Prozent gaben an, dass sie wöchentlich derartige Erfahrungen machen. Bei den jungen Männern sind es 43 Prozent.

Eine Erklärung dafür könnte gemäss Sotomo sein, dass junge Frauen und Männer nach eigenen Angaben an unterschiedlichen Orten mit Intoleranz konfrontiert werden: Beide zwar vor allem im öffentlichen Raum und in den sozialen und traditionellen Medien, junge Frauen aber deutlich mehr am Arbeitsplatz und im privaten Umfeld.

Social Media und Canceln
Die grösste Belastung für die Toleranz und Offenheit der Schweiz sehen Anhänger der linken Parteien in Anfeindungen auf Social Media (rund 85 Prozent), gefolgt von Verschwörungstheorien (rund 70 Prozent), Antisemitismus sowie Frauen- und Islamfeindlichkeit (durchschnittlich rund 50 Prozent).

Für SVP-Sympathisanten kommt die grösste Gefahr vom Canceln von Meinungen (50 Prozent) und der Vorverurteilung der "alten weissen Männer" (51 Prozent). Diese Befragten gaben mit 35 Prozent auch am meisten an, schon einmal gecancelt worden zu sein, weil ihnen nicht-akzeptables Verhalten vorgeworfen wurde. Bei allen anderen Parteien waren es zwischen 11 und 14 Prozent.

Für die Studie wurden zwischen dem 14. und 27. Mai insgesamt 3528 Personen in der deutschen und französischen Schweiz befragt und die Antworten durch Sotomo gewichtet. Das Konfidenzintervall beträgt +/- 1,7 Prozent.