Unwetter-Gefahr im Misox unzureichend
Bei der Analyse der Unwetter vom vergangenen Juni im Bündner Südtal Misox ist festgestellt worden, dass die Behörden die Unwetter-Gefahren teilweise unzureichend eingeschätzt haben. Es wurde vielerorts mehr Geröll angeschwemmt als angenommen. Dennoch lehnt die Regierung eine Haftung ab.
Bei den Unwettern vom 21. Juni starben zwei Menschen. Eine Person wird noch vermisst. Starke Gewitter führten zu zahlreichen Murgängen, die erhebliche Verwüstungen im ganzen Tal hinterliessen. In Sorte GR erreichte ein Murgang eine Siedlung von knapp zehn Gebäuden, zerstörte drei davon und beschädigte die anderen. Bis verlässliche Schutzbauten vorhanden sind, können die rund 20 Bewohner nicht zurück.
Analysiert wurden nun von einem externen geowissenschaftlichen Büro 18 von insgesamt 50 Bächen, die Schäden anrichteten. Dabei wurde festgestellt, dass bei einem Drittel dieser 18 Bäche die Gefahrenkarten der Behörden nicht genügend mit dem Ereignis übereinstimmten, wie die Experten gestern in Lostallo GR darlegten.
Die Karten werden deshalb nun rasch überarbeitet. Erste Ergebnisse will der Kanton Graubünden bereits im ersten Quartal 2025 präsentieren.
Umsiedlung nicht ausgeschlossen
Für die Betroffenen könnte dies schwerwiegende Folgen haben. Werden neue Gefahrenzonen ausgeschieden, könnten auch Gebäude davon betroffen sein. Solche sind jedoch in diesen Gefahrenzonen nicht zugelassen, wie der Leiter des kantonalen Amts für Wald und Naturgefahren, Urban Maissen, im Gespräch mit Keystone-SDA sagte.
Wie man dann vorgehe, müsse im Einzelfall angeschaut werden. Grundsätzlich gebe es organisatorische, bauliche und raumplanerische Massnahmen. Letztere beträfen auch eine allfällige Umsiedlung von Menschen. Schliesslich gelte es, die beste Variante im Bezug auf die Sicherheit und die Anliegen der Bevölkerung zu wählen.
Bis im Sommer wollen die Behörden unter der Leitung der Gemeinde die Massnahmen für Sorte GR prüfen und über die Zukunft der Ortschaft entscheiden.
Haftung ausgeschlossen
Die Gefahrenkarte für den betroffenen Weiler stammt aus dem Jahr 2013. Turnusgemäss werden diese Karten alle 10 bis 15 Jahre neu beurteilt. Damals habe man nach aktuellen Wissen gearbeitet, so Maissen weiter. Dem schloss sich auch die zuständige Regierungsrätin Carmelia Maissen (Mitte) an und schloss demnach eine Haftung für die Verwüstungen und Todesfälle im Tal aus.
Entscheidend für die Abweichungen in den Gefahrenkarten waren die Mengen des Materials, das heruntergeschwemmt wurde. Bei einem Murgang weiter südlich von Sorte GR rechnete man mit maximal 15'000 Kubikmetern Geröll. Herunter kamen schliesslich bis zu 100'000 Kubikmeter. Ereignisse dieser Grössenordnung treten gemäss der Analyse alle 100 bis 300 Jahre auf.
Klimawandel beeinflusst Gefahrenkartierung
Dass vielerorts mehr Material kommt, als man in den Gefahrenkarten angenommen hat, sei eine Erfahrung, die man dieses Jahr in der ganzen Schweiz machen musste, so Urban Maissen weiter. Er verwies auf die Ereignisse in Brienz BE und im Tessin.
Rund eine Woche nach den Unwettern im Misox wurde das obere Maggiatal im Kanton Tessin von heftigen Gewittern heimgesucht. In Schlammlawinen und Erdrutschen im Maggia- und Bavonatal haben mindestens sieben Menschen ihr Leben verloren. Eine Person wird noch immer vermisst. Bei Cevio TI wurde die Vislettobrücke weggeschwemmt.
Im August tobte ein Unwetter im bernischen Brienz. In dem etwa vier Quadratkilometer grossen Einzugsgebiet eines Dorfbachs fielen bis zu 100 Millimeter Regen.
Diese häufigeren und intensiveren Starkniederschlagsereignisse sind auf den Klimawandel zurückzuführen, wie Amtsleiter Maissen erklärte. Diesen Umstand wolle man nun in die neuen Gefahrenkarten einfliessen lassen. Man stehe hier in engem Austausch mit dem Bund, der aktuell Erkenntnisse über mögliche Klimaszenarien erarbeite.