Europas Hoffnungsträger Ariane 6 soll ins All starten
Nach zehn Jahren des Wartens soll die neue europäische Trägerrakete Ariane 6 zum ersten Mal ins All fliegen und Europas Raumfahrt damit aus der Krise seines Trägerraketensektors befreien.
Am Dienstag ab 20.00 Uhr MESZ soll der Jungfernflug vom europäischen Weltraumbahnhof in Kourou in Französisch-Guayana versucht werden.
Die 56 Meter hohe und 540 Tonnen schwere Rakete hat dann einen knapp dreistündigen Flug vor sich. Die Schweiz ist eines von 13 Ländern, die sich am Ariane-Programm beteiligen.
Auf die Rakete wird viel Hoffnung gesetzt. Sie soll den beteiligten Ländern einen unabhängigen Zugang zum Weltraum verschaffen. Das sei auch Teil der Schweizer Weltraumpolitik, sagte Renato Krpoun auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Krpoun ist Leiter der Abteilung Raumfahrt des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI).
Wetterexpertin sieht gute Chancen für Start
Die Wetterexpertin am Weltraumbahnhof, Anne-Sophie Chassagnou von der französischen Weltraumbehörde Cnes, ist optimistisch, dass es mit einem Start am Dienstag klappen könnte. "Die Tendenz ist grossartig." Die Expertin prüft, ob Gewitter oder starker Wind dem Flug im Weg stehen könnten. Das nächste Wetterupdate ist für 11 Uhr MESZ geplant, bevor das Arbeitsgerüst, das derzeit noch um die Ariane 6 herum steht, weggezogen wird, um die Rakete freizulegen.
Für den Erstflug wird bereits begonnen, Helium in ein Gefäss in der Hauptstufe zu füllen. Fünf Stunden vor der anvisierten Startzeit sollen auch die Booster befüllt werden.
Die Ariane 6: eine moderne Rakete?
Die Ariane 6 ist das Nachfolgemodell der Ariane 5, die von 1996 bis Sommer 2023 im Einsatz war. Sie soll Satelliten für kommerzielle und öffentliche Auftraggeber ins All befördern und ist deutlich günstiger als ihre Vorgängerin.
Beschlossen wurde die Entwicklung der Rakete bereits vor einem Jahrzehnt. Der Chef der Europäischen Raumfahrtbehörde Esa, Josef Aschbacher, ist überzeugt, dass die Rakete dennoch den aktuellen Herausforderungen entspricht. Die Esa preist die Ariane 6 als modular und flexibel an. Je nach Mission kann sie mit zwei oder vier Boostern ausgestattet werden und unterschiedliche Nutzlasten in einem kleineren oder längeren Oberteil behausen.
Schweizer Industrie beteiligt
Die Nutzlastverkleidung der Rakete stammt von der Schweizer Firma Beyond-Gravity, und APCO Technologies mit Sitz in Aigle VD hat unter anderem die Befestigung und die Kappe der Booster geliefert.
Die Nutzlastverkleidung schützt die Ladung der Rakete während des Starts und beim Durchdringen der Erdatmosphäre. Die Booster verleihen der Rakete zusätzlichen Schub beim Start. Die Befestigung muss laut Krpoun einen Schub von 270 Tonnen aushalten.
Die Kosten für das Projekt beliefen sich auf rund vier Milliarden Euro. Die Schweiz trug 2,4 Prozent der Kosten.
Experte: Ariane 6 nicht auf Höhe der Zeit
Raumfahrtexperte Martin Tajmar von der TU Dresden meint allerdings trotz der Neuerungen im Vergleich zur Vorgängerin der Ariane 6, die Rakete sei keinesfalls auf der Höhe der Zeit. Bereits 2015 habe das US-Unternehmen SpaceX mit der Falcon-9-Rakete das Zeitalter der wiederverwendbaren Raumfahrt eingeleitet.
Esa-Raumtransportdirektor Toni Tolker-Nielsen stellt zumindest in Aussicht: "Die nächste Rakete, die die Ariane 6 ersetzen wird, wird eine wiederverwendbare Rakete sein." Derzeit plant die Esa, ihre neue Trägerrakete mindestens bis Mitte der 2030er Jahre zu nutzen.
Europa will aus der Krise kommen
Raumfahrtexperte Tajmar betont aber auch, es gehe im Kern nicht darum, kommerziell mit den Konkurrenten mithalten zu können. Die zentrale Aufgabe der Ariane 6 sieht er erst einmal darin, Europa wieder einen eigenen Zugang zum All zu verschaffen und so die Unabhängigkeit zu sichern. "Der Zugang zum Weltraum ist sehr wichtig geworden", sagte Krpoun. "Wir nutzen Infrastruktur im Weltraum täglich für Navigationssysteme, für Zeitsignale und für Wettervorhersagen."
Ursprünglich hätte die Ariane 6 bereits vor vier Jahren ins All starten sollen. Die letzte Ariane 5 hob vor fast genau einem Jahr das letzte Mal in den Weltraum ab. Seitdem hat Europa keine eigenen Mittel mehr, um grössere Satelliten ins All zu bringen und steckt mit seinem Trägerraketensektor in einer tiefen Krise. Teils wich die Esa auf Falcon-9-Raketen des US-Unternehmens SpaceX aus.
Probleme auch bei Rakete für kleinere Satelliten
Die Krise ist für Europa umso verheerender, als es auch für kleinere Satelliten aktuell keinen eigenen Zugang zum All gibt. Im Dezember 2022 scheiterte der erste kommerzielle Start der Vega C. Seitdem ist die Rakete am Boden. Im November soll sie erstmals wieder abheben.
Pelzer zufolge ist der Erststart deshalb sowohl strategisch als auch industriepolitisch sehr wichtig für Europa und Deutschland. Und während es vom Raketenbauer ArianeGroup vorsichtig heisst, der Jungfernflug sei im Grunde auch der ultimative Testflug, ist Tolker-Nielsen von der Esa sich sicher: "Es wurde alles getan, damit es ein Erfolg wird. Wenn es scheitert, wäre das wirklich schlimm."